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2024-07-30

Neuro-typisch – neuro-divers/-divergent – neuro-bunt?

30. Juli 2024

Vor ein paar Tagen spülte mir Social Media eine Anzeige in die Timeline. Der Tenor war „bist du neuro-bunt, dann bin ich der richtige Coach für dich“. Aha, neuro-bunt… .
Als ich merkte, dass dieser Begriff etwas in mir auslöst, habe ich mir die Webseite angesehen. Es geht um Coaching für ADHS und Autismus-Spektrum-Störung oder auch alles, was anders ist.

Seit einiger Zeit wird der Begriff der „Neurodiversität“ im Bereich ADHS, ASS und anderer ICD-Störungen immer beliebter. Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass es sich hier nicht per se um Krankheiten handelt, sondern die Gehirne der Betroffenen einfach anders funktionieren.
Das ist eigentlich eine gute Sache, wir alle kennen ADHSler oder Autisten oder Menschen mit Synästhesie, die halt irgendwie anders „ticken“, aber nicht krank sind im Sinne von „Abwesenheit von Gesundheit“. Der Begriff soll darauf hinweisen, dass diese „Störungen“ eine natürliche Abweichung von der Norm sind und als solche bewertet werden soll, statt die Menschen als „unnormal“ oder „krank“ zu bezeichnen. Es soll zu mehr Verständnis und Toleranz beitragen.

Das Gegenstück zu Neurodiversität ist „neuro-typisch“. Man ahnt es schon: neuro-typisch sind alle anderen, die, die nicht unter die Neurodiversität fallen. Böse gesagt die, die halt „normal“ sind.
Diesen bösen Gedanken weiterspinnend haben wir hier also einfach auch nur wieder eine Einteilung in „krank vs. gesund“, „normal vs. unnormal“ oder eben „neuro-typisch vs. neuro-divers“. Wir Menschen lieben nun mal unsere Schubladen. Statt mehr Toleranz und Verständnis wird hier eine weitere Trennung im Sinne von „wir und die“ vorgenommen.

Allerdings klingt „neuro-divers“ einfach besser und moderner und besonderer und insgesamt auch nicht so abwertend. Und so wundert es nicht, dass sich Menschen lieber als neuro-divers bezeichnen, wenn sie nicht in ein Schema passen (wollen). Ob da nun eine Diagnose im Hintergrund steht, bleibt dabei ungewiss. Was für wirklich von ADHS oder ASS Betroffene fatal ist, da es ihre Diagnose in der Öffentlichkeit beliebig macht.

Und nun also auch noch „neuro-bunt“.
Das passt – für mich – in das Raster „es klingt toller, besonderer“. Es klingt vor allem nicht mehr nach Diagnose, Störung, Problem oder gar Krankheit. Es klingt nicht mal mehr nach Wissenschaftlichkeit, sondern eher nach Pippi Langstrumpf und Spaß.
Für mich nimmt der Begriff die Probleme der Betroffenen nicht ernst genug. Er unterstreicht viel mehr die Beliebigkeit eines echten Problems. Er fördert meiner Ansicht nach auch nicht das durch den Begriff „Neurodiversität“ angestrebte Mehr an Verständnis und Toleranz, sondern lässt im schlimmsten Fall die Betroffenen wie Clowns erscheinen, wie den sprichwörtlichen bunten Hund, den man ob seiner Besonderheit schon von weitem erkennt und meiden kann.

Natürlich wünschen wir uns alle eine Welt, die toleranter, diverser und ja, auch bunter ist. Das werden wir aber nicht erreichen, indem wir neue Label für Menschen erfinden, die anders ticken.

Liebe Grüße
Anja Lenz 

Admin - 10:37:12 | Kommentar hinzufügen